Teilung der beruflichen Vorsorge bei Scheidung: Muss sie immer hälftig erfolgen?

hälftige Teilung Sparschwein Rafaela blank unsplash

Bei einer Scheidung in der Schweiz stellt sich oft die Frage, ob die während der Ehe angesparte Austrittsleistung aus der beruflichen Vorsorge (zweite Säule) zwingend zur Hälfte geteilt werden muss.

Gemäss Art. 122 ZGB sind die während der Ehe bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens erworbenen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge grundsätzlich auszugleichen. Dazu gehören auch Freizügigkeitsguthaben und Vorbezüge für Wohneigentum. Nach Art. 123 Abs. 1 ZGB erfolgt dieser Ausgleich im Regelfall hälftig.

Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die Ehegatten noch keine Invaliden- oder Altersleistungen aus der beruflichen Vorsorge beziehen. In solchen Fällen gelten abweichende gesetzliche Bestimmungen, auf die in einem separaten Beitrag eingegangen wird.

 

Abweichungen von der hälftigen Teilung: Wann sind Ausnahmen möglich?

Gemäss Art. 124b ZGB können Ehegatten in einer Scheidungsvereinbarung von der hälftigen Teilung abweichen oder sogar auf den Vorsorgeausgleich verzichten.

Dies bietet sich insbesondere bei kurzen, kinderlosen Ehen an, wenn beide Partner voll erwerbstätig sind und keine traditionelle Aufgabenteilung besteht. Auch wenn die Pensionierung noch in weiter Ferne liegt, kann eine abweichende Regelung sinnvoll sein.

 

Gerichtliche Genehmigung und Prüfung der Vereinbarung

Das Gericht muss jede Vereinbarung über den Ausgleich der Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge genehmigen. Weicht diese von der hälftigen Teilung ab, prüft das Gericht nach Art. 280 ZPO, ob

  • eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge weiterhin gewährleistet bleibt, und
  • die Vereinbarung freiwillig und in Kenntnis aller Umstände getroffen wurde.

 

Gerichtliche Abweichung ohne Vereinbarung

Auch ohne ausdrückliche Vereinbarung kann das Gericht von der hälftigen Teilung absehen, wenn wichtige Gründe vorliegen.

Nach Art. 124b Abs. 2 ZGB ist das beispielsweise der Fall, wenn:

  • die güterrechtliche Auseinandersetzung oder die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung eine hälftige Teilung als unangemessen erscheinen lassen, oder
  • aufgrund starker Altersunterschiede oder unterschiedlicher Vorsorgebedürfnisse ein anderer Verteilungsschlüssel gerechtfertigt ist.

 

Überhälftige Teilung zugunsten eines Ehegatten

In bestimmten Fällen kann das Gericht sogar mehr als die Hälfte der Austrittsleistung einem Ehegatten zusprechen.

Dies gilt etwa dann, wenn der berechtigte Ehegatte die gemeinsamen Kinder betreut und der andere Partner nicht auf seine eigene Vorsorge angewiesen ist (Art. 124b Abs. 3 ZGB).
Ein solcher Ausgleich kann helfen, Vorsorgelücken aus der Zeit zwischen Einleitung des Scheidungsverfahrens und der rechtskräftigen Scheidung zu kompensieren.

 

Vorsorgeunterhalt nach der Scheidung

Zusätzlich besteht gemäss Art. 125 ZGB die Möglichkeit, einen sogenannten Vorsorgeunterhalt zu verlangen.

Dies betrifft Fälle, in denen nach der Scheidung weiterhin eine Vorsorgelücke besteht – etwa, wenn der berechtigte Ehegatte nur Teilzeit arbeitet oder aufgrund einer selbständigen Erwerbstätigkeit geringe Beiträge an die Altersvorsorge leistet.

Kann der andere Ehegatte den Vorsorgeunterhalt aus finanziellen Gründen nicht leisten, kann das Gericht stattdessen eine überhälftige Teilung der Vorsorgeguthaben anordnen (Art. 124b Abs. 3 ZGB).

 

Exkurs: Erste und dritte Säule

Neben der beruflichen Vorsorge betrifft die Scheidung auch die anderen Säulen der Altersvorsorge:

  • In der ersten Säule (AHV) erfolgt bei Rechtskraft der Scheidung automatisch das AHV-Splitting, also die Aufteilung der während der Ehe erzielten Einkommen.
  • Die dritte Säule (private Vorsorge) wird im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung aufgeteilt.

 

Fazit: Teilung der zweiten Säule im Schweizer Familienrecht

Die hälftige Teilung der beruflichen Vorsorge ist der gesetzliche Regelfall. Dennoch bestehen mehrere Ausnahmen, die individuell geprüft werden müssen – etwa bei kurzen kinderlosen Ehen, ungleichen Einkommensverhältnissen oder bestehenden Vorsorgelücken.

 

Sollten Sie Fragen zum Thema Familienrecht haben, stehen Ihnen unsere Anwältinnen und Anwälte gerne zur Verfügung.

Teile diesen Beitrag

Weitere Beiträge

Copyright © 2024 Pilatushof AG